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Strategien der Visualisierung

Verbildlichung als Mittel politischer Kommunikation, Eigene und Fremde Welten 14

Erschienen am 09.11.2009, Auflage: 1/2009
41,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593388953
Sprache: Deutsch
Umfang: 255 S.
Format (T/L/B): 1.5 x 21.2 x 14 cm
Einband: Paperback

Autorenportrait

Herfried Münkler ist Professor für Politikwissenschaft an der HU Berlin. Jens Hacke, Dr. phil., arbeitet am Hamburger Institut für Sozialforschung.

Leseprobe

Einleitung Herfried Münkler So sind wohl mache Sachen, Die wir getrost belachen, Weil unsere Augen sie nicht sehn. Matthias Claudius Nicht der Armen Schlechtigkeit Hast Du mir gezeigt, sondern Der Armen Armut Zeigtet ihr mir den Armen Schlechtigkeit So zeige ich euch der schlechten Armen Leid. Bertolt Brecht Visualisierung und Visibilität bezeichnen gesellschaftliche und politische Sichtbarkeitsverhältnisse. Dabei geht es einerseits um das berühmte Sehen und Gesehen werden, das in einer bekannten lateinischen Sentenz den römischen Damen als Motiv ihrer Theaterbesuche zugeschrieben wurde und das hier als ein Modus gesellschaftlicher Ordnung ins Auge gefasst wird. Andererseits braucht es zu diesem Zwecke Orte der Übersichtlichkeit, an denen man sich zeigen und zugleich die anderen beobachten kann: aus Gründen der gesellschaftlichen Distinktion, der Konkurrenz, aber ebenso auch der Solidarität und der Fürsorglichkeit. Es bedarf darum der Orte bzw. Medien von Visibilität, die als Generatoren gesellschaftlicher Selbstvergewisserung dienen. Solche Orte bzw. Medien der Visibilität sind freilich nicht als bloße Spiegel anzusehen, in denen sich zeigt, was in die Reichweite des Spiegels gerät, sondern bei ihrer Analyse ist vor allem auf jene zu achten, die sich um die Aufstellung und Ausrichtung der gesellschaftlichen und politischen Spiegel bemühen. Sie sind es, die diese Spiegel wie Scheinwerfer benutzen, um bestimmte Personen und Gruppen sichtbar zu machen oder auch andere im Dunkeln zu belassen. Dabei kann zunächst offenbleiben, ob dieses Sichtbar-Machen oder Im-Dunkeln-Lassen deren jeweiligen Interessen entspricht oder ihnen entgegen ist. Im Unterschied zu dem in der modernen Debatte allgegenwärtigen Begriff der Transparenz bezeichnet Visualisierung, aber durchaus auch Visibilität, keine strukturelle Ordnung der Sichtbarkeit bzw. Durchsichtigkeit, sondern hebt auf gesellschaftliche Praktiken und politische Strategien ab. Es geht um Macht und Machtgebrauch, die durchweg mit dem Sehen und Gesehenwerden verbunden sind. Während die Leitvorstellung der Transparenz darauf abzielt, Macht unter Kontrolle zu bringen, gehen die sehr viel stärker deskriptiv als normativ ausgelegten Begriffe Visualisierung und Visibilität davon aus, dass politische Macht und gesellschaftlicher Einfluss aufs Engste mit der politischen und gesellschaftlichen Ordnung der Sichtbarkeit verbunden sind. Transparenz und Visualisierung bezeichnen entgegengesetzte Pole der Sichtbarkeitsverhältnisse in Politik und Gesellschaft. Transparenz ist dabei zum Schlagwort im politischen Diskurs geworden; Visualisierung und Visibilität sind dagegen politikanalytische Begriffe, die nicht normierend, sondern kritisch an die Verhältnisse herantreten. Visualisierung kann als die Sichtbarmachung von etwas ansonsten Unsichtbarem begriffen werden, was bei religiösen Praktiken etwa der Fall ist; es kann sich dabei aber auch um das In-den-Mittelpunkt-Stellen oder Ins-rechte-Licht- Rücken einer Person bzw. einer Sache handeln, die sonst eher unbeachtet bliebe. Schließlich kann es sich dabei auch um Techniken und Verfahren einer Kultur handeln, durch die Texte oder Partituren auf die Bühne gebracht werden, um sichtbar bzw. hörbar zu sein: also um Schauspiel und Oper. Dabei kann Visualisierung herrschaftsrepräsentativ sein, aber sie kann auch die Funktion der Destruktion einer politischen und sozialen Ordnung haben. Zeigen bzw. Sichtbarmachen kann der Stabilisierung von Herrschaft dienen und der Perpetuierung einer Ordnung förderlich sein; es kann aber auch etwas aufdecken, was in herrschaftstechnischer Hinsicht besser verborgen geblieben wäre. Im einen Fall geht es um architektonische Monumente, Paläste, Standbilder, prachtvolle Einzüge oder Feste, im anderen dagegen um die Aufdeckung von etwas, das im Verborgenen bleiben soll, also um ein Ans-Licht-Zerren von geheimen Praktiken. Hier handelt es sich dann um Akte der Profanierung, auch der Aufklärung, schließlich der Enttarnung. Im einen Fall kann es sich also um eine Stabilisierung der sozialen Ordnung handeln, im anderen um ihr bloßes Ansichtig-Werden, im wieder anderen um ein Instrument der Destruktion sozialer Ordnung bzw. der Herbeiführung ihres Wandels. Gelegentlich ist die Herstellung von Visibilität auch der Anfang eines Prozesses der revolutionären Veränderung. Die Praktiken und Techniken der Visualisierung können auf eine allgemeine Öffentlichkeit bezogen sein; genauso gut können sie aber auch auf Teilöffentlichkeiten beschränkt bleiben, die sich auf diese Weise konstituieren und vom Rest der Gesellschaft absetzen. In letzterem Fall kann Visibilität auch ein Distinktionsmerkmal sein. Seit jeher hat die gute Gesellschaft bestimmte Praktiken der Visualisierung gepflegt, um sich von den anderen abzugrenzen. Dabei ist freilich zu beachten, dass eine besonders herausgehobene Sichtbarkeit nicht eo ipso mit gesellschaftlichem Einfluss und politischerMacht identisch ist. Nicht selten ist es die Aufgabe von Prominenz, deren Lebensführung im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit steht, von den Eliten abzulenken und sie jenseits der allgemei nen Aufmerksamkeit ihren Aufgaben nachgehen und ihre Entscheidungen treffen zu lassen. Prominenz ist eine Erfindung der Visibilitätsgesellschaft, um die Schaulust der Menschen zu befriedigen und ein gewisses Maß an Intransparenz für die Eliten wahren zu können. Die Erzeugung der Figur des Prominenten ist ein Visualisierungscoup der wirklichen Eliten. Das Konzept der Inszenierung hat in den Sozial- und Kulturwissenschaften zuletzt dazu gedient, bestimmte Praktiken des politischen Betriebs in ein besonders vorteilhaftes oder ein eher kritisches Licht zu rücken: Personen oder Themen werden mit dem Theaterbetrieb abgeschauten Mitteln regelrecht inszeniert, um die politische Bühne zu beherrschen bzw. die von den Regisseuren der (politischen) Inszenierung entwickelten Ideen umzusetzen. Es ist zu vermuten, dass politische Probleme und Themen auf bestimmte Formen der Verbildlichung bzw. Bebilderung angewiesen sind, um Wirkung zu zeitigen, während dafür der nackte Text oder die bloße Information nicht hinreichen. Um ein Beispiel zu geben: Kriege, von denen es keine Bilder gibt, die also invisibel sind, finden für uns faktisch nicht statt, während andere Konflikte durch die Flut der Bilder eine unverhältnismäßig große Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Man spricht inzwischen auch vom Bilder-Krieg. Auf das Thema dieses Bandes bezogen heißt das, dass Visualisierung - auch - einMittel im politischen Kampf, im Kampf um die richtigen Bilder ist. Schließlich gibt dieser Rahmen auch die Gelegenheit, einen Blick auf den bemerkenswerten Wandel des Materials der Visualisierungen zu werfen: Waren über die längste Zeit Stein und Metalle das Material, in dem sich Herrschaft visualisierte, weswegen die Zerstörung dieser Visibilitäten auch immer zu den zentralen Akten revolutionärer Umstürze gehörte, so sind im audiovisuellen Zeitalter an deren Stelle das Zelluloid bzw. die digitalen Nachfolgematerialen des Films getreten.Welche Folgen hat das? Handelt es sich um einen bloßen Austausch des Materials oder hat sich hier ein Wandel der Visualisierung (Echtzeitübertragung in globalem Maßstab) vollzogen, der Gegenwart und Zukunft gegenüber der Vergangenheit scharf abgrenzt? Die in diesem Band versammelten Beiträge sind im Zusammenhang der Ringvorlesung "Visualisierung / Visibilität" entstanden, die im Wintersemester 2006/2007 an der Humboldt-Universität zu Berlin stattgefunden hat. Vortragende waren neben einigen Mitgliedern des Berliner Sonderforschungsbereichs 640 "Repräsentationen sozialer Ordnungen" vor allem von außen eingeladene Spezialisten, die das Experiment unternommen haben, mit Visibilität/ Visualisierung eine bestimmte Komponente des sehr viel umfassenderen Konzepts der Repräsentation einer genaueren Betrachtung zu unterziehen und auf seine Relevanz hin zu überprüfen.

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